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Um den grossen Berg

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Jacek Kolbuszewski

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Wir schau`n die Berge an und über ihrem Kamm Lacht die Koppe uns zu mit ihrem weissen Reiz, Höchste Herrin hierorts allhier die schönste Frau: Anmutig von Gestalt die Brüste einer Maid.

Bogusz Zygmunt Stêczyñski

Stanis³aw Poniatowski, nach Hirschberg im Jahre 1784 fahrend, fand für beachtenswert, dass von den Bergen in dieser Gegend, Riesengebirge genannt, den höchsten Gipfel - Schneekoppe - man bereits vom Wege sieht - man sagt auch "von ihrem Gipfel Breslau und Prag sehen zu können"; und als Izabela Czartoryska nach der Kurbehandlung im Jahre 1816 Warmbrunn verliess, schrieb sie: "Unsere Herzen waren bedrückt, die Augen aber - so lange es möglich war - an die Schneekoppe geheftet". Schon damals - am Ende des 18. Jahrhunderts und am Anfang der romantischen Hälfte des 19. Jahrhunderts - war die Riesengebirgskoppe ein wahrhaft berühmter Berg - vielleicht der in Europa berühmteste: bestiegen ihn doch - Mühen und Unbequemlichkeiten nicht scheuend - Besucher aus den von Schlesien entferntesten Ländern. Die Allererlauchteste und Hochwohlgeborene Königin Augusta war auf dem Gipfel im Jahre 1827 in Gesellschaft von zwei Hofdamen, vier hohen Beamten und dem Hofwissenschaftler, der Botaniker, Archäologe und Geologe in einer Person war. Am 11. September 1826 standen auf dem Gipfel gleichzeitig Leopoldina Gieorgijewna Grotenwohl aus Kiev, eine gewisse Betty Ponga aus Languedoc und die Polin Maria Kmita, die im Gedenkbuch, das für mutige Eroberer des Berges ausgelegt war, einschrieb: "Auch ich befriedigte meine Neugier". Dieser, durch die Berühmtheit des ungewöhnlichen Berges hervorgerufenen "Neugierde" folgten Besucher aus dem italienischen Como, aus Genf, Königsberg, Saratov, Sankt Petersburg, Paris, Madrid, London, Hamburg, Freiburg in der Schweiz, Riga - sogar aus dem haitanischen Port au Prince, aus Philadelphia und Jamaika. Der Ruhm des Berges war wahrhaft weitgreifend - Adam Mickiewicz, beabsichtigte auch den Besuch in das Riesengebirge, angeregt durch einen Brief seines vom Philomatenverein kommenden Freundes Franciszek Malewski, der die Schneekoppe bezwang und starke Empfindungen erlebte. Mickiewicz aber war es vom Schicksal vergönnt - er bekam keinen Reisepass. Doch viele namenhafte Polen waren auf dem Berge und auch sie brachten ihm Ruhm ein.

Seine Berühmtheit war also wirklich bezwingend und die mythologischen Werte kamen ihm vorallem von der Literatur zu: Dichtungen, Reisebeschreibungen, Prosafragmente in Romanen und die ersten Beiträge zu Reise - und Wegführern, die keineswegs nur zum deutschen, tschechischen und polnischen Schrifttum gehörten, aber sogar zum spanischen und amerikanischen. In diesen romantischen Zeiten war jede Besteigung des Schneekoppengipfels ein bedeutendes Erlebnis und eine Quelle von tiefgreifenden Empfindungen für gewöhnliche Brotesser - wie das Beispiel der schönen Russin Frau Maslov aus Saratov beweist, die sich enorm freute den höchsten Berg Deutschlands zu erklimmen. Und ein spanischer Verskünstler mit unbekanntem Vornamen - Kapitän de Zuaznawar (1795) wartete 36 Stunden in der Hampelbaude auf Wetterverbesserung, um endlich die wunderschöne Aussicht vom Gipfel der Schneekoppe zu erleben und in das Gedenkbuch eine dichterisch gelungene (so Prof. P. Sawicki, Iberist an der Universität in Wroc³aw), klassizistisch hochtrabende Ode einzuschreiben:



























Oh, du Riesengipfel, du fürchtest nicht die grausigen Stösse des bösen Nordwindes; Gewaltiger Herr, Stifter des Friedens zwischen hadernden Königreichen; Denkmal aus Eis, mit deiner Kälte schaffst du, dass die frostenden Sonnenstrahlen nicht wärmen wie auch die Menschenhoffart, du unbeweglicher Meister, du demütigst, oh Mächtiger mit deiner überstarken Hand. Stolz von der Grösse, die Majestät der Unmasse machst du sichtbar, deine Allmacht beweisend; Mal bedeckst du dich mit einem Wolkenmantel, das Tageslicht verachtend, wohlwollend dem Nachtdunkel, Mal trägst du hochmütig zwischen Blitz und Donner im Nebel graue Dünste, die, deiner kalten Übermacht gehorchend - im Abgrund versickern um von dort aus wieder vor die Augen der Wanderer erscheinen. Aber am reinen und sonnigen Himmel können die Augen des Sterblichen dich sehen, du glänzest erhoben wie eine hohe Burg; wenn aber der Fuss des Wanderers deinen Gipfel berührt, belohnst du, du gnädig Zahmer, seine Mühen und ergötzest sein Auge an der Ferne: Flüsse, Täler, Dörfer, Felder und Berge lieblich von der übergrossen Anmut der Natur!

Einige Jahre später, 1800, stand auf der Schneekoppee der damalige Botschafter der Vereinigten Staaten am Preussischen Hof, der künftige sechste Präsident, John Quincy Adams (1767-1848). Seinen Ausflug hatte er sehr interessant in seinen "Briefen über Schlesien" (Letters on Silesia 1804) - sofort ins Deutsche und Französische verdolmetscht - beschrieben; ins Polnische in der Übersetzung von Maria Kolbuszewska mit Vorwort von W³adys³aw Dynak in Wroc³aw 1992 erschienen. In das Gedenkbuch der Schneekoppe schrieb er das folgende, sehr romantisch klingende Gedicht ein:




















Um dieses Land zu sehen, kam ich hierher durch den Ozean - aus dem Vaterland der himmlichen Freiheit, und mit der wunderbaren Aussicht von dieser Bergeshöhe hat Gott selbst meine entzückten Augen beglückt. Vom Berg, dessen Gipfel sich in Wolken versteckt, schaut der Riese mit Verachtung ins Tal. Mein Auge schweift weit an den Grenzen des Horizontes um, aber ins Land der Väter ist die Mühe umsonst. Oh, Land der Freundschaft, glückliche Jahre der Kindheit, reich an düftenden Blumen, ich kann dich nicht sehen: und diese Entdeckung lockt mir unfreie Tränen aus meinen Augen. Doch aus den Sturmwirbeln unter dem Himmelsbogen die über meinem Kopf wehen, höre ich die Stimme der Weisheit: Wanderer, was suchst du? Tapferkeit! Geduld! Denke an das ewige Vaterland - richte die Augen in die Höhe!

Dieses Gedicht des künftigen Presidenten der Vereinigten Staaten scheint einen neuen, romantischen Abschnitt in der Interpretationsgeschichte sowohl des Hohen Berges, wie auch der von seinen Gipfel beschaubaren Aussichten zu eröffnen; fast in derselben Weise wie es der Anteil der schmerzlich unerfüllten, doch bereits vorausgehenden Empfindungen Kordians aus dem Drama von Juliusz S³owacki auf dem Gipfel von Mont Blanc war. Diese Deutungsweise ist der Anfang einer neuen Perspektive für die vorromantische und hochromantische Art der Interpretierung der persöhnlichen Gefühle und Empfindungen, die die Anwesenheit auf dem höhsten Berg des Riesengebirges herbeiführte.

Denn die kultische Betrachtung der Schneekoppe, die mit heidnischen Bräuchen in altertümlicher Zeit ihre Anfänge hatte - bestimmt aber ab dem 17. Jahrhundert in den Wallfahrten zu der hl. Laurentiuskapelle ihre Fortsetzung erlebte - war zuerst ein lokaler Brauch der Bewohner des Riesengebirges und des Vorlandes. Dann wurde er eine jener Modeerscheinungen der Warmbrunner Kurgäste, um - in der Zeit der Romantik - neue, tiefe, wesentliche, nationale und patriotische Bedeutungen aufzunehmen, die - was das eigentümlichste ist - am stärksten in der Haltung der Tschechen und der Polen zum Vorschein kam; weniger aber in der damaligen deutschen Kultur.

In der polnischer Geschichte der Schneekoppe muss man drei markante Ereignisse verzeichnen. Das erste war - nach dem Aufenthalt in Warmbrunn und der unzweifelhaften Eroberung der Schneekoppe - die Dichtung von Kazimierz Brodziñski "Hymne auf den Riesen - Bergen"1818, die die romantische Wahrnehmung des Berges in der polnischen Literatur einleitet. Der zweite Vorfall, ein wesentlicher - ausgezeichnet einstmals von Ryszard Kincel interpretiert - war die Einschreibung in das Schneekoppen - Gedenkbuch (1835) eines relevanten Fragmentes aus dem III. Teil der "Ahnenfeier" (Dziady) von Adam Mickiewicz - der "Grossen Improvisation". Der Schreiber war ein unbekannter Wanderer:







Ich heisse Million - denn für Millionen liebe ich und leide Qualen. Ich schaue mein armes Vaterland an wie ein Sohn seinen Vater am Folterrad, fühle das Leid des ganzen Volkes, wie eine Mutter die Schmerzen ihrer Leibesfrucht fühlt.

Es war auch bestimmt kein Zufall, dass ein verärgerter Deutsche hier die Randbemerkung machte: in Koppenbücher solle man Deutsch schreiben - dazu ein unbekannter Tscheche - mit dem Deutschen streitend und den Polen tröstend, dass auch sein Vaterland in Kürze wieder frei wird - in panslavischer Einheitsbewegung.

Die dritte Episode ist die bekannte, von Kornel Ujejski erwähnte Begebenheit. Als er auf der Schneekoppe war, hatten er und der tschechische Wissenschaftler und Nationalbewusstseinförderer Jan E. Purkynie versucht eine steinerne Pyramide "für die polnische Unsterblichkeit" zu errichten.

Eine markante Tatsache: im romantischen Zeitalter wurde die Schneekoppe sowohl ein Berg der panslavischen Völkerannäherung, wie auch ein eigenartiger, nationaler Berg der Tschechen - in derselben Art, wie für die Slovaken Krywañ im Tatragebirge wurde. Ab dem Jahre 1826 schrieben neben den Titelkarten der Schneekoppengedenkbücher tschechische Wanderer wichtige für ihr Nationalbewusstsein Auszüge aus dem Buche "Tochter des Ruhmes" von Jan Kollár, um auf diese Weise sie für ihre eigenen Zwecke in Anspruch zu nehmen und auf den Seiten auch traurige - aufgrund der nationalen Situation der Tschechen - Gedanken aufzuschreiben, so, wie es ein gewisser AM (vielleicht der Übersetzer von Mickiewicz - Antonin Marek?) machte:





Auf den Höhen des Riesengebirges sitze ich traurig, vom Sturmwind bedrängt schaue ich zurück, dort, wo in mein Land die Wege führen, es ist aber besetzt von Feinden der Slaven.

In solchen Andeutungen scheint die Schneekoppe ein "goldener Gipfel" zu sein, auch eine herrliche Burg "der mein Stamm nicht beraubt wurde": der Berg also stand für die tschechische, romantische Jugend als Zeichen der nationalen Freiheit. Ein Höhepunkt in diesem Vorgang war die Einschreibung in das Gedenkbuch im Sommer 1833 des berühmtesten tschechischen romantischen Dichters Karel Hynek Macha von folgenden prominenten und messianisch klingenden Worten:





Die Schneekoppe trägt eine weisse Stirn, das Licht des Riesengebirges brennt, bis die blutigen Morgengrauen erlöschen, wird die goldene Sonne für die Tschechen erwachen.

Diese Erscheinung eines "Riesengebirgsmessianismus" war gleichsamt eine Nobilitierung des Berges zum nationalen, heiligen Berg der Tschechen. In der romantischen Kultur wurde er also ein wichtiges - sowohl für die Polen, wie auch für die Tschechen - Nationalsymbol und ein Zeichen der polnisch - tschechischen, slavischen Annäherung. Eine unzweifelhafte Sonderbarkeit von diesem Vorgang war, dass ein hoher Grenzberg, der europäischen Ruhm hatte, gleichzeitig ein wichtiges Symbol und wesentlicher Wert für zwei Nationalkulturen darstellte: die Schneekoppe grenzte diese Völker nicht ab - sie wurde wahrhaft verbindend. Es ist also nicht verwundernd , dass in der romantischen Erscheinung die Landschaft vom Gipfel der Schneekoppe nicht eine realitätsgetreue Beschreibung, sondern manchmal eine symbolische Interpretation aufwies, die in einem Augenblick, gleichzeitig - wie in der Dichtung von Bogusz Zygmunt Stêczyñski - Breslau, Dresden, Prag, Wien und Krakau - also das ganze Gebiet des altertümlichen Slaventums - dem Beschauer sich preisgab. Indem der Berg ein heiliger nationaler Berg der Tschechen wurde - war er auch ein Ort der slavischen Annäherung und ein wichtiges Symbol.

Jacek Kolbuszewski

Prof. Dr. hab. Jacek Kolbuszewski - Literaturhistoriker, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Institutes für Polnische Philologie an der Universität in Wroc³aw. Autor von vielen Publikationen und literaturkritischen Bearbeitungen. Die Hauptmotive seiner Arbeiten sind: Berge, Schrifttum, Kultur - u.a. "Das Sudetengebirge in der polnischen Literatur und Kultur", "Aus der Geschichte der Schneekoppe im Riesengebirge". Erforscht und beschreibt das von den Bergen inspirierte Schaffen.
 

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